Es ist nicht lange her, da sah die Welt für viele Startups ziemlich rosig aus. Kapital war teils im Überfluss verfügbar, Kosten relativ gut planbar und das Wachstumspotenzial gerade für viele digitale Geschäftsmodelle groß. Diese Zeiten sind fürs Erste vorbei. Die nun deutlich raueren Umstände treffen dabei nicht nur solche Startups, die bereits auf externe Finanzierung setzen. Kostensteigerungen, Zinserhöhungen und große Unsicherheiten in der langfristigen Planung machen auch denjenigen zu schaffen, die ihre Startups bisher per Bootstrapping finanziert haben. Viele Gründer:innen denken deshalb über neue Finanzierungsmöglichkeiten nach und fragen sich, ob sie externe Investoren an Bord holen sollten – und unter welchen Bedingungen.
Vor den Verhandlungen mit potenziellen Investoren braucht es zunächst eine möglichst realistische Bewertung des Startups. Das Problem dabei: Je jünger es ist, desto schwieriger ist eine solche Bewertung. Werden Bewertungen reiferer Unternehmen anhand harter Kennzahlen ermittelt, ist das bei jungen Startups nicht möglich. Normalerweise machen sie noch wenig Umsatz, gar keinen Gewinn, und oft gibt es nicht einmal ein ausgereiftes Produkt.
Notwendig ist die Bewertung natürlich trotzdem. Wie genau lässt sie sich berechnen und von welchen Faktoren wird sie beeinflusst?
Welche Verfahren für Startup-Bewertungen gibt es?
Es gibt viele Verfahren, um die Bewertung eines Startups zu ermitteln. Hier beispielhaft drei der am weitesten verbreiteten Methoden:
1. Discounted Cash Flow (DCF)
Eine sehr häufig angewandte Methode ist das DCF-Verfahren. Der Name, auf Deutsch “abgezinster Zahlungsstrom”, beschreibt den Kern der Methode. Auf Basis des aktuellen Cashflows wird eine Prognose über den zukünftigen Cashflow erstellt und dann um einen festgelegten Diskontsatz “abgezinst”, denn ein für in einigen Jahren prognostizierter Cashflow ist heute durch Faktoren wie Inflation und Zinsen weniger wert.
Vorteil: Wer diese Methode anwendet, kommt nicht darum herum, sich intensiv mit seinem Geschäftsmodell auseinanderzusetzen. Zu den Nachteilen gehört, dass sie bei Startups mit hoher Planungsunsicherheit schwer anwendbar ist. Überhaupt funktioniert sie nur, wenn ein Startup positive Cashflows hat - das ist aber nicht immer der Fall. Insgesamt also eine Methode, die sich eher für spätere Phasen eines Startups eignet.
2. Multiplikatoren-Methode (Market Multiple oder Market Comparable)
Hier werden vergleichbare Unternehmen für die Berechnung herangezogen, deren relevante Kennzahlen wie Umsatz, EBITDA, ARR-Multiple oder Reingewinn öffentlich zugänglich sind. Auf Grundlage dieser Zahlen lässt sich ein Schätzwert für die Bewertung eines Startups ermitteln. Das größte Problem bei dieser Methode: Gerade bei jungen Firmen ist es nicht leicht, vergleichbare Unternehmen mit öffentlichen Kennzahlen zu finden (oder überhaupt solche mit einem ähnlichen Geschäftsmodell). Auch Faktoren wie Ertragskraft oder Umsatzziele können hier nicht mit einfließen. Der Vorteil liegt darin, dass das Verfahren sehr praxisnah und die Anwendung relativ einfach ist.
3. Die Venture-Capital-Methode
Diese Methode wird von vielen VC-Gesellschaften angewendet. Sie kombiniert DCF- und Multiplikatoren-Verfahren und fokussiert sich auf den geplanten Exit. Aus einem geschätzten möglichen Kaufpreis des Startups in der Zukunft wird auf den heutigen Tag zurückgerechnet, um eine Bewertung zu erhalten. Eingerechnet werden dabei z. B. der Liquiditätsbedarf des Startups und die Renditeerwartung des Investors sowie die benötigte Zeit bis zum Exit. Das Verfahren ist vergleichsweise einfach in der Anwendung und auch für frühe Wachstumsphasen geeignet. Die größten Nachteile: Diese Methode liefert zwar zuverlässigere Ergebnisse für die Bewertung von Startups, als die DCF- und die Multiplikatoren-Methode, ist aber noch immer eher ungenau. Zudem zieht sie Multiplikatoren zur Berechnung heran, die sich auf vergleichbare Exits in der Vergangenheit beziehen, hier aber auf einen geplanten Exit in der Zukunft angewandt werden. Das kann nur zu Näherungswerten führen.
Dies sind nur einige Beispiele verbreiteter Methoden, es gibt viele weitere. Leider ist keines davon eine “One Size Fits All”-Lösung, alle bieten nur Näherungswerte. Sie werden auch oft miteinander kombiniert. Erfahrene Expert:innen und Berater:innen können von Fall zu Fall dabei helfen, die passendste Methode für die Bewertung eines Startups zu finden.
Diese Faktoren beeinflussen Startup-Bewertungen
Es gibt unterschiedliche Faktoren, die Einfluss auf die Bewertung eines Startups haben. Viele von ihnen beziehen sich auf Eigenschaften des Unternehmens und Teams, andere auf den Markt, in dem das Unternehmen operiert. Zudem lässt sich zwischen quantitativen und qualitativen Faktoren unterscheiden.
Zu den quantitativen gehören u.a. die folgenden:
- Welche Wachstumsrate kann das Startup vorweisen?
- Wie viele Kunden konnte es bereits gewinnen?
- Wie hoch ist der ARR?
- Wie gestaltet sich die Kostenentwicklung?
Qualitative Faktoren sind z.B. folgende:
- Das Gründer:innen-Team: Wie viel Know-how, Netzwerk und Erfahrung bringt es mit?
- Wie einzigartig und innovativ ist das Produkt? Auf welchem Entwicklungsstand befindet es sich, wie steht es um die Value Proposition, wie um den Product Market Fit?
- Wie skalierbar ist das Geschäftsmodell und wie groß ist das Wachstumspotenzial?
- Wie wirksam sind die Marketingmaßnahmen?
- Wie attraktiv und zukunftsträchtig ist der Markt, in dem sich das Startup positioniert?
- Wie steht es um die aktuelle und zukünftige Regulierung des Marktes und welche Auswirkungen hat das auf das Geschäftsmodell?
- Wie ist die Wettbewerbslage?
- Wie ist die allgemeine wirtschaftliche Situation, besonders in Hinsicht auf VC-Finanzierungen? In den letzten Jahren standen VCs bei Startups teils Schlange, um investieren zu können. Das hat sich im Laufe des Jahres 2022 deutlich geändert. Ob VCs Geld investieren wollen, oder ob sie eher zurückhaltend agieren, hat natürlich ebenfalls Einfluss auf die Höhe der Bewertung.
Pre-Money und Post-Money
Ein weiterer wichtiger Unterschied, der hier nur am Rande erwähnt sein soll: Es gibt Pre-Money-Bewertungen und Post-Money-Bewertungen. Bei einer Pre-Money-Bewertung wird das bisher zugeflossene Kapital nicht mit einberechnet. Bei einer Post-Money-Bewertung fließt wiederum z.B. die letzte Finanzierungsrunde in den Unternehmenswert ein. Im zweiten Fall ist die Bewertung natürlich höher. Die Entscheidung für eine der beiden Methoden kann großen Einfluss auf die Eigentumsanteile an einem Startup haben.
Was tun bei niedriger Bewertung?
Manchmal stehen die Chancen schlecht für eine gute Bewertung. Das ist in Phasen einer Rezession oder in einer anderweitig schwierigen wirtschaftlichen Lage oft der Fall. Oder der Markt, in dem das Startup aktiv ist, macht gerade eine schlechte Phase durch. Timing ist also extrem wichtig und kann großen Einfluss darauf haben, wie eine Startup-Bewertung ausfällt.
Für SaaS-Unternehmen, die sich gerade in einer solchen Phase befinden, kann eine re:cap-Finanzierung eine gute Option sein. Mit re:cap können sie ihren Runway verlängern und die nächste Finanzierungsrunde auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wenn sie durch weiteres Wachstum eine bessere Bewertung auf Basis eines höheren MRR erreicht haben.
Aber nicht nur dann ist re:cap eine gute Alternative zu anderen Finanzierungsformen: Bootstrapped Startups können mit re:cap weiteres Kapital aufnehmen und ihr Wachstum vorantreiben und finanzieren, ohne ihre Anteile zu verwässern.
Fazit
Startup-Bewertungen sind komplex und bieten immer nur Näherungswerte. Sie sollten deshalb eher als Verhandlungsgrundlage für Investorengespräche und weniger als lupenreine Mathematik betrachtet werden. In der Praxis ist es oft so, dass Startups bei einem hundertprozentig passenden Investor mit hervorragendem Ruf und Netzwerk z.B. eher in eine etwas niedrigere Bewertung einwilligen, als bei einem No-Name-Investor, der weniger gut passt. Es kann durchaus von Vorteil sein, Expert:innen und Berater:innen zur Unterstützung hinzuzuziehen, um die erste Unternehmensbewertung zu erstellen.